Während einer Transsib-Reise ist ein Besuch am Baikalsee Pflicht. Für mich ist er der wahrscheinlich schönste See in Sibirien. Im Winter ist der Baikalsee meterdick zugefroren und trägt sogar Fahrzeuge. Mein Reisebericht von der Transsib-Reise im Winter stammt von 2009. Wenn Du nach aktuellen Reisetipps suchst wirf bitte einen Blick in die Übersicht für die Transsibirische Eisenbahn. Außerdem gibt es auch eine Kategorie für Russland-Reisetipps.
Freitag, 6. Februar 2009
Kurz nach 8 Uhr warte ich auf die Marschrutka zum Busbahnhof. Mit mir warten etwa 50 andere Personen – doch es ist mucksmaeuschenstill. Keiner spricht. Waeren da nicht die Fahrzeuge, wuerde man eine Stecknadel fallen hoeren. Fuer mich sehr spannend, habe ich doch in Erinnerung, dass man sich bei uns am Bahnhof doch recht gut unterhaelt. Und dann erst die Italiener, die jeden Tag vom Hotel Scherer an meiner Wohnung vorbei in die Stadt marschieren … die hoere ich sogar durch das verschlossene Fenster. Aber hier – alles still.
Der Verkehr ist massiv und so brauche ich deutlich laenger zum Busbahnhof, als eigentlich geplant. Nur noch 5 Minuten Zeit zur Abfahrt des Busses. Sobald ich die Karte im Gebaeude gekauft habe, ist wahrscheinlich der Bus abgefahren. Ich entdecke allerdings eine Marschrutka mit Aufschrift Listvjanka. Nachdem bereits Fahrgaeste im Auto sitzen, setze ich mich dazu. Nach wenigen Minuten werden wir gebeten, in den grossen Bus umzusteigen. Kein Problem, ich glaube jetzt bin ich sowieso in dem Bus, mit dem ich urspruenglich fahren wollte. Ueber Strassen, die man aus den amerikanischen Filmen kennt, fahren wir Richtung Listvjanka. Einmal den Huegel hinunter, dann auf der anderen Seite wieder hinauf. Bergab wird der Bus immer schneller – die Rueschenvorhaenge flattern. Bergauf verlieren wir schnell an Fahrt und freuen uns schon, dass der Anstieg bald zu Ende ist. Rasant geht’s wieder bergab…
Eineinhalb Stunden spaeter zahle ich 100 Rubel – etwas mehr als 2 Euro – und stehe direkt am Hafen von Listvjanka. Die Kapitaene stehen neben ihren eingefrorenen Schiffen am Eis. Ein lustiger Anblick.
Direkt am Platz befindet sich auch das neue Baikal-Hotel. Davor wird gerade eine riesige Eisburg auf- oder abgebaut.
Hier in Listvjanka hat man Zeit fuer ausgedehnte Spaziergaenge – es sind um diese Jahreszeit kaum Touristen zu sehen. Ich erkunde den Ort erst in die eine Richtung bis zu einem Hotel, das nicht mehr weitergebaut werden durfte und nun als Ruine dort steht. Die Gesetze fuer Erdbebesicherheit wurden nicht eingehalten. Theodor hat mir am Vortag vom starken Erdbeben in Irkutsk im August 2008 erzaehlt. Sie haben es in ihrer Wohnung im 8. Stock miterlebt. Gottseidank alles gut gegangen. Mich schaudert.
Zurueck in der “Ortsmitte” genehmige ich mir einen Omul als Mittagessen. Der geschmackvolle Fisch, den es nur am Baikalsee gibt, wird entweder kalt oder warm geraeuchert verkauft. Ich entscheide mich fuer die warme Variante und mache es mir in der Huette bequem. Gegessen wird der Omul mit den Fingern – ich habe mir noch ein bisschen Brot dazu gekauft.
Frisch gestaerkt mache ich mich in Richtung Angara-Abfluss auf. Der Weg fuehrt staendig entlang des Sees. Man hat hier stets einen guten Rundumblick.
Ich beschliesse allerdings auf dem Festland und nicht auf dem Eis zu gehen. Der Grund: Die Anwohner holen ihr Wasser direkt aus dem Baikalsee. Dafuer haben sie Loecher in Ufernaehe ins Eis gehauen. Und ich moechte nicht in einem solchen Eisloch versinken. Auto- und auch Mopedfahrer demonstrieren im Laufe des Tages immer wieder, dass das Eis problemlos ihre Last haelt.
Wo die Faehre nach Port Baikal uebersetzt, fliesst die Angara aus dem Baikalsee. Dort endet auch die Eisdecke, da das abfliessende Wasser aus der Tiefe mit etwa 4 Grad an die Oberflaeche kommt und daher nicht mehr gefrieren kann.
Trotzdem faehrt die Faehre nicht das ganze Jahr. Im Winter ist der Betrieb nicht sicher. Ich hatte in meiner Reiseplanung ueberlegt, eventuell eine Nacht in Listvjanka zu verbringen und dann mit der Faehre nach Port Baikal ueberzusetzen. Von dort waere es mit der alten Circum-Baikal-Bahn weiter nach Sludjanka, an meine jetzige Reisestrecke gegangen. Ich bin froh, dass ich diese Tour schon waehrend der Recherche abgeblasen habe – es haette eine Menge Schlepperei und eine ungewisse Ueberfahrt nach Port Baikal bedeutet.
So ist es mit meinem kleinen Rucksack viel besser und ich kann von hier gemuetlich bis zum Schamanenstein in der Angara weiterwandern. Ein Stein, der ca. eineinhalb Meter hoch aus dem Abfluss der Angara ragt.
Man erzaehlt sich in Sibirien die Sage, dass Vater Baikal ueber 300 Soehne und eine wunderschoene Tochter mit Namen “Angara” hatte. Die fuehlte sich sehr eingesperrt und war sehr ungluecklich. Sie hoerte von vorueberfliegenden Moewen vom jungen, schicken Jenissej und verliebte sich, obwohl sie ihn noch nie gesehen hatte, unsterblich in ihn. Eines Nachts riss Angara heimlich aus, doch ihr Vater merkte es und warf erbost einen Stein nach seiner Tochter, um sie aufzuhalten. Er traf allerdings nur den Saum des Kleides und Angara entschwand.
Seine Soehne suchten tagelang nach Angara. Der juengste Sohn Irkut fand sie. Die schlaue Angara sagte zu ihm: “Du hast viel zu lange gebraucht mich zu finden, es werden sich bei Deiner Rueckkehr alle ueber Dich lustig machen. Am Besten, Du laeufst mit mir zum Jenissej.” Irkut stimmte ihr zu und so wurde Jenessej Angara’s Mann und Irkut wurde von ihm aufgenommen, wie ein Bruder.
Bis heute laeuft die schoene Angara mit dem flinken Irkut zum Jenissej und dann laufen sie zu dritt bis zum noerdlichen Eismeer. Der Schamanenstein ist jener Stein, den der alte Baikal nach seiner Tochter warf. (vgl. Knop 2008*)
Zurueck in der “Realitaet” sehe ich mir nochmal die Eisgrenze des Sees (am Bild genau hinter meinem Ruecken) genauer an. Dann besichtige ich das Baikal-Museum, wo ich noch ein paar Hard-Facts ueber diesen See der Superlative in einer englischsprachigen Privatfuehrung bekomme. Der Baikalsee ist 636 km lang (Etwa die Entfernung Wien – Bregenz) und bis zu 80 km breit. Die tiefste Stelle misst 1.637 m – somit ist er der tiefste See der Erde. 336 Fluesse speisen den See, nur die Angara ist sein Abfluss. Der Baikalsee umfasst 23.000 Kubikkilometer Wasser, das ist zweimal so viel wie in der Ostsee und entspricht etwa 20 % des gesamten Suesswasserbestandes der Welt.
Die Sichttiefe betraegt bei klarem Wetter bis zu 40 Meter. Die Wassertemperatur liegt zwischen 4 und 16 Grad. Ab Jaenner ueberzieht den See eine bis zu 1,5 Meter dicke Eisschicht. Im Baikalsee leben viele besonder Tiere, die es sonst nirgends gibt. Der Oelfisch lebt in einer Tiefe bis zu 1.410 Meter, dort herrscht ein Druck von 125 Bar!
Ausserdem lerne ich die Baikal-Robben und auch die noch lebenden Verwandten des heute Mittag verspeisten Omuls kennen.
Nach dem Museums-Besuch mache ich mir Gedanken ueber die Heimfahrt. Die ganze Zeit ueber habe ich keine einzige Marschrutka Richtung Irkutsk gesehen. Und der Bus faehrt erst um 17:45 – das wuerde noch eine lange Wartezeit bedeuten. Doch ich habe Glueck und warte keine zwei Minuten, schon kommt eine fast leere Marschrutka. Ueber die “Fernsehfilm-Highway-Huegel” flitzen wir Richtung Irkutsk.
So habe ich noch genuegend Zeit, die “schnelle Version” der Spaghetti Bolognese fuer den Abschiedsabend vorzubereiten. Im Supermarkt finde und bekomme ich fast alles. Thymian fehlt leider, das Tomatenmark entpuppt sich in der Kueche als scharfer, mexikanischer Senf und beim Faschierten bin ich mir nicht sicher, ob es vom Rind oder vom Schwein ist. Aber egal… Barilla- und Buitoni-Nudeln gibt’s in allen Formen, nur als Spaghetti nicht. Dann entdecke ich etwas versteckt die “Spaghetti lunghi” mit doppelter Laenge. Ich bin ueberrascht, diese hier zu finden.
Die Sauce Bolognese a la Irkutsk schmeckt trotzdem lecker, schaetzungsweise 8.000 km von Italien entfernt. Theodor bereitet als Vorspeise noch ein paar Kaviar-Broetchen mit Lachscreme vor.
Dann kann der Abschiedsabend beginnen. Nicht nur ich bin ein bisschen traurig, dass wir uns in ein paar Stunden schon verabschieden muessen. Meine Gastgeber sind mir sehr ans Herz gewachsen. Aber ich bin mir sicher, man sieht sich bald mal wieder.
Um 0:30 wird es dann Zeit ins Bett zu gehen – es hilft alles nichts, denn in vier Stunden laeutet schon wieder der Wecker. Und die Eisenbahn wartet nicht…
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Quellennachweis fuer Infos ueber Irkutsk und Baikalsee und Zitate aus dem “Reisefuehrer” in diesem Reisetagebuch:
Der Link führt zur aktuellen Version des Transsib-Reiseführers.
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Irkutsk says
Schöner Bericht und danke für den Kommentar auf meinem Blog. Den eisbedeckten Baikal muss man einfach mal gesehen haben. Atemberaubend! Na Zdarovije
Andersreisender says
@Irkutsk: Bitteschön, gern geschehen – ich lese regelmäßig Deine News aus Irkutsk und Umgebung! Macht wieder richtig Lust auf einen Besuch in Sibirien :-)