Die Grenze nach Sibirien ist überschritten! Drei Tage reise ich mit dem “Rossija-Express” bis nach Irkutsk am Baikalsee. Dieser mehrteilige Transsib-Reisebericht stammt von 2009, ich habe ihn unterwegs in Internet-Cafés geschrieben. Die Begegnungen in den Zügen sind (fast) zeitlos. Wenn Du aktuelle Reisetipps für die Transsibirische Eisenbahn Reiseplanung suchst schau bitte auf die Beitrags-Übersicht für die Transsibirische Eisenbahn.
Samstag, 31. Jaenner 2009
Den Obelisk Europa – Asien als Markierung der Grenze zwischen den beiden Kontinente, passieren wir nach Mitternacht im Dunkeln. Jekaterinburg (Swerdlowsk) ist um 1:17 Uhr unser erster Stopp in Asien. 1.815 Kilometer liegen nun schon hinter mir.
Die Nacht hat sich ueber die Transsibirische Eisenbahn gelegt. Die sonst so akurat uniformierte Schlafwagenschaffnerin lauft nun im leichten Leopardenmuster-Kleidchen ohne Lederstiefel durch die Gaenge. Sie wird in den naechsten Stunden von ihrer Kollegin abgeloest.
Mein “Kollege” Isa sieht sich seine mitgebrachten DVDs im Bordfernsehen an. Er hat fuer die lange Reise kein Buch mitgebracht, sondern beschaeftigt sich lieber mit den Videos und Musiktiteln auf seinem Handy. Manche kenne ich mittlerweile schon auswendig. Besonders nervig: Eine Spezial-Version von “You are my heart, you are my sole…”, das brennt sich super ins Hirn ein und geht dann stundenlang nicht mehr raus…
Ich kuschle mich in meine Bettdecke, draussen schneit es. Manchmal kann man den Geruch der verbrannten Kohle auch im Abteil wahrnehmen. Mit einer “netten Melodie im Ohr” goenne ich mir ein paar Stunden Schlaf.
Gegen 10 Uhr Vormittag wache ich bei blitzblauem Himmel auf. Wir sind bereits in (West) Sibirien. Ich geniesse den Anblick des flachen, verschneiten Landes mit den Birkenwaeldern im Schnee. Mit der Kamera kann man diese Bilder nur schwer einfangen.
Bei der Koerperpflege auf der Toilette macht sich die Kaelte wieder bemerkbar. Beim Spuelen der Toilette kommt die kalte Luft von draussen rein und kondensiert. Es sieht aus, als wuerde jeden Moment ein Geysier seine Taetigkeit aufnehmen. Aber gottseidank geht dann doch alles in die eine Richtung, wo es hin sollte…
Ich bin verwundert, dass es nur kaltes Wasser gibt. Also schnell Zaehne putzen und Katzenwaesche, Haare zurechtrichten und Deo fuer den Rest. In einem Reisebericht las ich von Duschen im “Rossija”, andere sagen, dass es keine Dusche gibt. Vielleicht ist es aber auch ein Vorteil, sich nicht zu duschen – immerhin beginnen wir so im Abteil gemeinsam zu “stinken” und es fuehlt sich so niemandem gestoert…
Ich schluerfe gerade meinen Fruestuecks-Nescafe. Isa kommt ebenfalls mit einem “brrrr” von der Katzenwaesche zurueck, stellt sich vor den Spiegel und benutzt ausgiebig den Deo-Spray. Ich muss lachen.
Ich beschliesse doch nach der Dusche zu fragen, weil es mich interessiert und weil ich meinen Gastgebern in Irkutsk gerne gepflegt begegnen moechte. Und siehe da: Ja, es gibt eine Dusche – ich werde sie demnaechst testen.
Den halben Weg von Moskau nach Irkutsk habe ich bereits hinter mir. Wir ueberqueren den Fluss Irtysch der komplett zugefroren ist.
Nach 2.711 km erreichen wir um 14:17 Uhr den Bahnhof Omsk.
Draussen duerfte es noch kaelter geworden sein. Seit einiger Zeit ist der Fensterrahmen auf der Innenseite des Abteils gefroren. Mittlerweile ist das Eis schon zu einer sichtbaren Schicht angewachsen. Isa meint, bis Wladiwostok wird daraus ein grosser Eisklumpen. Ein grosser Vorteil: Das Bier bleibt schoen kalt! Wir haben mit dem Eis unseren Spass und muessen die gefrorenen Fensterscheiben gleich in einem Video festhalten.
Kuschelig einpacken heisst es nun auch, wenn ich in den Speisewagen gehen will. War es erst in den Einstiegsbereichen der Waggons nur kalt, sieht es nun aus, wie in einem Gefrierhaus. Die Frage stellt sich nur: Ist das der Eingang IN die Kaelte oder geht es hier AUS der Kaelte hinaus?
Die Kohle-Heizungen leisten allerdings ganze Arbeit. In unserem Abteil hat es rund 25 Grad. So hat man’s gern. Lediglich einmal sank die Temperatur im Zug rapide. Am Gang hatte es nur noch 12 Grad. Anscheinend war keine Kohle mehr da, ab dem naechsten Bahnhof ging’s mit der Temperatur wieder bergauf.
Meine Ausfluege auf den Bahnsteig bei den gelegentliche, rund 20minuetigen Aufenthalten werden immer kuerzer. In Barabinsk (3.040 km) rasch bei einem kleinen Kiosk meine Mineralwasservorraete aufgefuellt und schon bin ich wieder im Zug *froestel*. “Fliegende Haendler” sind aber nirgends in Sicht.
Meine Reise fuehrt mich weiter ueber die Ob-Bruecke nach Nowosibirsk. Natuerlich muss ich auch hier dem Bahnhof einen kleinen Besuch abstatten. Mein Schlafrhythmus ist voellig aus dem Gleichgewicht geraten. Um 22 Uhr schlafe ich ein, um Mitternacht bin ich wieder wach.
Beim Zaehneputzen bemerke ich, dass der Abfluss im Bad zugefroren ist und das Wasser nicht mehr abfliesst. Ich informiere die Provodnizas, die gerade gemuetlich mit einer weiteren Dame im Dienstabteil Zigarillos rauchen. Die Dame stellt sich als Lena aus Abteil Nr. III vor – es liegt gleich neben dem unseren Abteil. Sie ist Russin, blond, etwa 35 Jahre alt. Lena vermittelt in gebrochenen Englisch und “entfuehrt” mich dann in ihr Abteil auf einen moskauer Cognac (nicht Vodka!). Sie hat das Abteil fuer sich allein und ist voll ausgestattet. Das kleine Tischchen gleicht einem Esstisch mit vielen Leckereien. Von Nuessen bis Granataepfel ist alles da. “Besser ausgestattet, als ich zu Hause”, denke ich. Eine gute Gelegenheit, das “Nannerl” aufzumachen. Auch ein paar Mozartkugeln sollen zur Voelkerverstaendigung beitragen.
Ich bemerke, dass Lena schon einiges getrunken hat und schon sehr “locker” ist. Ich ziehe mich vorsichtig aus der Affaere mit dem Hinweis, dass ich doch schon sehr muede sei. Ich begleite sie zurueck zum Raucher-Dienstabteil, verabschiede mich hoeflich und husche zurueck in mein Abteil Nr. II. Isa grinst uebers ganze Gesicht und zeigt etwas unanstaendiges. Ich puffe ihn in den Arm.
Kurz danach kommen wir um 03:03 in Taiga (3.571 km) an, Uhr umstellen und mit einem entsetzten Blick auf die Anzeige stelle ich fest: Es hat tatsaechlich -28 Grad!
5:17 erreichen wir bei KM 3.719 den Ort Mariinsk. Hier wird laut Handbuch wieder einmal die Lok gewechselt. Bisher fuhren wir mit Gleichstrom, ab hier geht’s mit Wechselstrom weiter ostwaerts. Danach schlafe ich endlich ein.
Sonntag, 1. Februar 2009
Gegen 10:30 Uhr wache ich wieder auf. In gut einer Stunde sind wir in Krasnojarsk (4.104 km). Hier entsteht bei meinem Bahnsteig-Spaziergang das Foto von der Lokomotive. Gleich nach dem Bahnhof ueberqueren wir den Fluss Jenesei, der ueberraschenderweise nicht zugefroren ist. Die Fahrt fuehrt uns durch eine reizvolle, schneebedeckte Landschaft mit vielen Holzhaus-Siedlungen und Birkenwaeldern. Ich bin ueberrascht, dass die Gegend hier doch so dicht bebaut ist.
Um 16:06 sind wir in Ilanskaja (4.383 km). Erstmals sind private Haendler da. Bis hier hin waere man ohne Lebensmittel-Alternative bestimmt schon verhungert und verdurstet. Die Produkte werden mit einem Schlitten gebracht, ich kaufe wieder mal Mineralwasser. Etwas ueberrascht schaue ich als das Maedchen, das mich bedient, laechelt: Ihre Schneidezaehne sind aus Gold.
Zurueck im Zug beschliesse ich, endlich etwas fuer die Ganzkoerper-Hygiene zu tun. Man will in Irkutsk ja nicht “stinkend” ankommen. Die Provodniza zeigt mir gleich bereitwillig die Dusche: Es ist eigentlich der Waschraum inkl. WC neben ihrem Stuetzpunkt. Ein Schlauch mit Duschkopf wird an den Wasserhahn angeschlossen und voila – die Dusche ist fertig.
Dann die Instruktion zur Verwendung, die Schaffnerin zeigt vor: Auf den Klodeckel setzen, dann duschen. “Freilich”, denke ich mir, “schon wenn ich nur die Toilette benutze, versuche ich moeglichst nirgends anzukommen. Dann werde ich mich ganz bestimmt nackig auf den Klodeckel setzen…” *baeh-igitt-und-graus* Schnell rollt die Provodniza noch das Toilettenpapier ein, damit es nicht nass wird. Der untere Teil der Umgebung wird mit Wasser abgespuelt. Dann bin ich allein.
Nach einer logistischen Meisterleistung ist meine gesamte alte und auch neue Kleidung nach dem Duschen noch trocken. Ich blieb mit beiden Beinen staendig auf meinen Schlapfen und bin nirgends (ehrlich!) mit auch nur irgendeinem Koerperteil angestreift. Ich hatte Glueck und duerfte gerade eine Strecke mit wenigen Kurven fuer diesen Balanceakt erwischt haben. Nach dem Duschen fuehlt man sich dafuer viel besser.
Nach dem letzten Besuch im Speisewagen beginne ich meine ersten Vorbereitungen fuer den Ausstieg. An Schlafen ist nicht zu denken. Der Lokfuehrer faehrt wie ein Henker, die Strecke ist kurvenreich und so schlecht wie nie zuvor. Ich sehe die letzten Stunden meiner 5.191 km langen Fahrt von Moskau nach Irkutsk aus dem Fenster. Um 6:03 Uhr werden wir ankommen. Was wird mich im sibirischen Irkutsk erwarten…? Ausserdem kratzt es im Hals und ich muss immer wieder niessen. Es wird sich doch nicht eine Erkältung anbahnen?
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Simon says
wirklich ein toller Bericht! Sehr lebhaft dargestellt! Da bekommt man wirklich Lust, auch mal die Tur zu buchen! Danke!
Andersreisender says
@Simon: Danke fürs Kompliment und Willkommen im Blog!
Dominik says
ich bin jetzt in der 7. klasse und habe vor nach der matura die selbe reise hinter mich zu legen – ich muss wirklich sagen, dass ich zwischen all den foren und reiseführern dein reisetagebuch wirklich am informativsten finde!
kann hier Simon nur zustimmen und sagen, dass deine berichte wirklich gut geschrieben sind und ich es kaum mehr erwarten kann selbst in den zu zu steigen (:
Andersreisender says
@Dominik: Ich freue mich, dass Dir meine Reiseinformationen zur Transsib weitergeholfen haben. Wenn Du die Bahnfahrt gemacht hast, lass mal hören, wie es Dir gefallen hat!