Mehr als 48 Stunden bin ich nun im Zug von Irkutsk nach Wladiwostok unterwegs. Seit Ulan-Ude sind es “neue Wege”, die ich befahre. Dort zweigt die Strecke nach Peking und in die Mongolei ab, die ich bereits 2009 u.a. mit dem Moskau-Peking-Express befuhr. Die “klassische” Strecke der Transsibirischen Eisenbahn verläuft rund 3.700 Kilometer weiter durch kaum besiedeltes Gebiet durch Ostsibirien nach Wladiwostok in Fernost.
Das Landschaftsbild ändert sich kaum. Häufig sind die bereits bekannten Birken oder andere Laubbäume zu sehen. Sie wechseln sich mit Steppenlandschaft ab.
Auffällig ist, dass nun auch die Zersiedelung immer mehr abnimmt. Oft ist eine Stunde oder länger kein einziges Haus zu sehen. Auch Straßen oder Fahrwege zerschneiden die Landschaft nicht mehr. Einzig die Transsibirische Eisenbahn und eine manchmal begleitende Stromleitung ziehen sich durch die unendlichen Weiten Sibiriens.
Es sind nun wirklich scheinbar unendliche Weiten, die sich mit einer Kamera nicht fassen lassen. Bis zum Horizont nur Steppe oder Wald. Keine Menschenseele zu sehen. Kein Auto. Niemand. Für Europäer ein seltener Anblick. Hier wird klar, wie unfassbar groß dieses Land ist. Ich befinde mich im Süden, dem relativ erschlossenen Bereich Sibiriens. Wie zeigt sich dann erst der Norden dem Reisenden?
Mit der Transsib durch Sibirien
Sibirien
Permafrost-Böden, die nur oberflächlich auftauen, gibt es auch hier im Süden Sibiriens. Teile der Transsibirischen Eisenbahn sind darauf gebaut. Rund um Mogotscha, etwa 6.900 Kilometer von Moskau entfernt, durchquert die Transsibirische Eisenbahn das klimatisch extremste Gebiet. Im Winter fällt das Thermometer hier auf bis -55 Grad.
Inhalt:
Gemächliche Geschwindigkeit
Ich habe das Gefühl, dass sich die Reisegeschwindigkeit gegenüber der Strecke von Moskau bis Irkutsk verringert hat. Wir sind nicht schneller als 50 bis 80 km/h unterwegs. Trotzdem werden wir mit jedem Schienenstoß, jeder Weiche und jeder Geschwindigkeitsveränderung persönlich bekannt gemacht. Es rumpelt und rattert im Zug. Bisher ist mir dieser Umstand nicht so extrem aufgefallen. Werde ich etwa empfindlich?
Auch auf den Bahnhöfen hat sich das Bild stark geändert. Die Empfangsgebäude werden einfacher, auch auf einen “ordentlichen” Bahnsteig müssen wir immer öfter verzichten.
Bahnhof Jerofei Pawlowitsch (Ерофе́й Па́влович)
Das Lebensmittel-Angebot an der Strecke wird ebenfalls karger. Immer seltener sieht man Babuschkas mit ihren Leckerbissen und oft gibt es nur noch ein oder zwei Kioske mit Getränken und Lebensmitteln am gesamten Bahnhof.
Babuschkas am Bahnhof
Kiosk am Bahnhof
Erst vor Chabarowsk, nach mehrtägiger Reise, ändert sich dieser Zustand wieder. Unser Zug wird wieder merklich schneller und die Fahrt ruhiger.
Um 16 Uhr im Speisewagen
Um 16 Uhr sitzen wir gerade im Speisewagen. Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Draussen ändert sich nur wenig. Also Zeit genugt, sich auf das Essen zu konzentrieren.
Blick aus dem Speisewagen
Aktueller Stand um 16 Uhr:
Ort: Transsibirische Eisenbahn, etwa eine halbe Stunde nach Birobidschan (8.351 Km), Ferner Osten
Land: Russland
Wetter: wechselhaftes, herbstliches Wetter, ca. 15 bis 20 Grad.
Zeitverschiebung:
Zur Mitteleuropäischen Sommerzeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz beträgt der Zeitunterschied + 9 Stunden. Steht in Birobidschan die Uhr auf 16 Uhr ist es in Mitteleuropa erst 7 Uhr.
Brücke über den Armur
Kurz vor Chabarowsk überqueren wir den Armur. Die kombinierte Auto- und Eisenbahnbrücke ist mit 2.599 Meter (mit Auffahrten 3890,5 Meter) eine der längsten Brücken Russlands. Wie alle wichtigen Brücken und Tunnels in Russland wird auch diese streng bewacht. Außerdem führt unter dem Armur ein Eisenbahn-Tunnel hindurch. Bei Chabarowsk (8.532 Km) verläuft die Transsibirische Eisenbahn-Strecke nur einen Steinwurf von der Chinesischen Grenze entfernt.
Apropos Steinwurf…
In Chabarowsk herrscht reger Fahrgastwechsel im Zug. Es dauert auch nach Abfahrt des Zuges einige Zeit, bis sich jeder in den Abteilen häuslich einrichtet. Da auch ich neue Reisekollegen bekommen habe, sehe ich am Gang aus dem Fenster, bis sich die Lage im 4er-Abteil etwas beruhigt.
Unser Zug hat wieder volle Fahrt aufgenommen. Als wir eine kleine Bahnstation durchfahren sehe ich, dass Kinder Steine auf die vorderen Waggonfenster werfen. Ich ducke mich und Bruchteile einer Sekunde später fliegt ein faustgroßer Stein durchs Fenster und weiter durch den gesamten Gang. Noch mal Glück gehabt! Es grenzt fast an ein Wunder, dass von den zehn Personen am Korridor niemand durch diesen “Lausbubenstreich” verletzt wurde.
Ab in den Süden
Ab Chabarowsk für die Strecke dann nicht mehr Richtung Osten sondern Richtung Süden. Von hier sind es nur noch rund 700 Kilometer bis zum östlichsten Ende der Transsibirischen Eisenbahn, Wladiwostok.
Die kommende Nacht werde ich hier verbringen:
Die dritte Nacht im Zug Nr. D 8NJ Nowosibirsk – Wladiwostok am Weg von Irkutsk nach Wladiwostok.
Sven says
Sibirien. Das war für mich seit meiner Kindheit Sehnsuchtsgebiet. Raus aus dem öden Schulalltag, hinein in die Weiten der Tundra. Wladiwostok klang so weit weg, dass es einfach toll sein muss. Wie der Mond. Oder die Niagarafälle.
Wenn man bedenkt, hier herrscht Väterchen Frost bis zu 9 Monate mit eiserner Hand. Es muss toll sein, diese unendlichen Weiten zu sehen…
Na, Du wirst berichten… ;-)
Viele Grüße
Sven
Claudia says
Ma toll – danke Gerhard für die schönen stimmungsvollen Berichte. Da schwingen soviele Bilder/Emotionen mit zwischen deinen Zeilen. Eine Karte wäre oft gut um deinen aktuellen Standort zu lokalisieren. Habe gerade Birobidschan gesucht …
LG aus Linz!
Mac_BetH says
Hallo Gerry,
weiterhin eine gute Reise wünsche ich dir und wie immer tolle Erzählung! Macht Lust auf mehr! ;-)
Gruß
Matthias
Reinhard+Maria says
Hallo lieber Gerhard, deine Berichte lesen wir ganz, begeistert und freuen uns, als wären wir selbst unterwegs!!!
Viel Glück und Spass. Der Japaner ist ein netter Mensch und Opernsänger oder sowas!!
Andersreisender says
@Sven: Ach ja *seufz* wem sagst Du das. In der Schule lernt man davon – und es ist unendlich weit weg. Genau meine Gedanken! Absolut toll durch diese “unendlichen Weiten” von Sibirien zu fahren. Bis Irkutsk kenne ich den Winter – aber wie sieht es hier aus? Es muß wohl schon ein bisschen unheimlich werden, wenn stundenlang kein Haus zu sehen ist.
@Claudia: Ich freue mich von Dir/Euch zu lesen. Hoffe, dass es Euch drei gut geht. :-) Das mit der Karte ist so eine Sache: Ich schreibe einiges offline, da die Internetzeiten sehr begrenzt sind. Karten-Basteln braucht viel Zeit. Für Russland habe ich eine Übersichtkarte gestaltet. Ich finde Karten für die Übersicht auch toll – darum habe ich mir das Thema einige Tage durch den Kopf gehen lassen. Und ich glaube, ich habe eine Lösung. Ab Japan wirst Du sie – ab dem 14.8. – sehen. Gib mir Bescheid, ob man so einen besseren Überblick hat!
@Matthias: Dankeschön – bin schon fleißig am Tippseln :-)
@Reinhard+Maria: Willkommen im Blog – ich freue mich, dass aus der Plainstraße auch so fleißig mitgelesen wird! Gottseidank ist der “Ersatznachbar” nett – in der Tat ist er Opernsänger aus Japan. Ab Anfang März müsst Ihr dann wieder mit mir Vorlieb nehmen ;-) Weiterhin viel Spaß mit den Reiseberichten!